Liebe Alte und Ältere, liebe Junge und Junggebliebene, liebe Gäste,liebe TeilnehmerInnen am
Seniorentheaterforum in Plieningen,
vor ungefähr vierzehn Jahren trafen sich Spielleiterinnen und Spielleiter im
Seniorentheater auf Einladung des damaligen Präsidenten des Landesverbandes Baden-
Württemberg, Rolf Wehnhard, zu einem Gespräch und gegenseitigen Kennenlernen in
Leinfelden-Echterdingen.
Und staunten über die Rede des ebenfalls eingeladenen damaligen Vorsitzenden und
Sprechers des Seniorentheaterforums Nordrheinwestfalen, Eckhard Friedl.
Der berichtete uns nämlich aus seinem Bundesland von Austausch und Vernetzung der
Seniorentheatergruppen untereinander, von Fortbildungen mit Fachreferenten, von
gemeinsamen Workshops und Fachtagungen, von Seniorentheater-Festivals und einer
großartigen Unterstützung und Förderung des Ganzen durch die Politik und das
Kulturreferat NRW.
Und nachdem wir aus dem Staunen herausgekommen waren, beschlossen wir
unverzüglich, es NRW gleichzutun: ein Arbeitskreis Seniorentheater formierte sich im
Landesverband unter Leitung von Eva Balz und traf sich einmal jährlich zu Workshop -
Tagen in Leinfelden-Echterdingen oder Holzgerlingen. Teilnehmerinnen und Teilnehmer
lernten sich kennen - persönlich und in ihrer Arbeitsweise, vernetzten sich und begannen,
sich gegenseitig zu ihren Vorstellungen zu besuchen und darüber auszutauschen.
Viele begegneten sich auch beim alljährlich stattfindenden Europäischen
Seniorentheaterforum in Scheinfeld wieder, weitere Kontakte wurden geknüpft, erste
Seniorentheaterfestivals veranstaltet – ich erinnere nur an das Festival der Städtischen
Bühnen Freiburg und die Methusalems, die dort an ein öffentlich gefördertes Theater
angeschlossen sind.
Auch die ganz großen Bühnen zeigten mit einmal Interesse an unserer Theaterarbeit – so
veranstaltete das Hamburger Schauspielhaus in Zusammenarbeit mit der Körber-Stiftung
zweimal das große „Herzrasen-Festival“ mit Profis und Amateuren auf Augenhöhe.
Aber trotz nun immer lebendiger und bunter werdender Seniorentheaterszene (die in der
Scheinfelder Erklärung des Bundesarbeitskreises Seniorentheater ihren Ausdruck fand)
und steigender Qualität der Produktionen wurde schon damals auf der begleitenden
Fachtagung deutlich, wie unterschiedlich die Bedingungen für die TheatermacherInnen im
Seniorentheater bundesweit sind.
Schon damals bemerkte Uschi Famers im Abschlussbericht des Festivals:
„Neben den inhaltlichen Qualitätsansprüchen einer Theaterproduktion spielt die äußere
Struktur ebenfalls eine wichtige Rolle. Bühnenbild, Kostüme, Musik, Licht und Technik
helfen, eine gute inhaltliche Geschichte zum Strahlen zu bringen. Hier wurde die Kluft
zwischen Profibedingungen am Theater mit seinem geballten künstlerischen und
finanziellen Überbau und den Arbeitsbedingungen der Amateurgruppen mit ihren geringen
finanziellen Möglichkeiten und dem freiwilligen Arbeitsaufwand der SpielerInnen sehr
deutlich spürbar.“
Nichtsdestotrotz verbreitete sich der Gedanke, dass das Theaterspielen vor dem Alter
nicht halt macht, immer weiter: neue Gruppen formierten sich, neue Ausdrucksweisen und
Formate kamen dazu, Tanztheatergruppen wie die von Lisa Thomas und die künstlerische
Arbeit mit dementen SpielerInnen wie die Demenzionen von Jessica Höhn gehören heute
so selbstverständlich dazu wie Theater in Pflegeheimen Aufführungen zu Themen wie
Sturzprophylaxe im benachbarten Österreich und Theaterarbeit mit Migranten beim
Berliner Ensemble des Theaters der Erfahrungen von Eva Bittner. Und schlussendlich das
steigende Interesse auch des relativ neuen Berufszweiges der Theaterpädagogik an der
Arbeit mit älteren Menschen.
So kann und könnte es weitergehen – wäre da nicht das Gefühl, noch immer ein
Nischendasein im allgemeinen Theaterbetrieb zu führen, weitestgehend sich selbst
überlassen, unbeachtet von der Politik, und gerade im Begriff, von einer
„Bürgerbühnenbewegung“ der öffentlich geförderten Theater überrollt zu werden, die den
Begriff Nachhaltigkeit nicht zu kennen scheint und für kurzfristig angelegte Projekte Laien
als „Experten des Alltags“ castet und deren „Authentizität“ flux als Kunst deklariert. So
wurde die Arbeit der Seniorentheatergruppe „BaSta“, die vierzehn Jahre am Badischen
Staatstheater Karlsruhe angeschlossen war, unvermittelt von der neuen Intendanz für
beendet erklärt. Sie passe nicht mehr in diese neue künstlerische Linie der
Bürgerbühnenbewegung.
Beispielhaft auch die Abwesenheit der eingeladenen Politiker zu einer unlängst
stattgefundenen Fachtagung zum Seniorentheater in Hamburg , veranstaltet vom Bund
Deutscher Amateurtheater mit Sitz in Berlin, die mit der Einsicht der dortigen Teilnehmern
endete:
„Wir müssen mehr und lauter für das Seniorentheater trommeln, um gehört zu werden und
öffentliche Aufmerksamkeit zu bekommen.“
Und so legte der Bundesarbeitskreis kürzlich den Entwurf einer Berliner Erklärung vor, die
das, was wir für die Seniorentheaterarbeit brauchen, in Worte fasst:
Theater mit alten Menschen braucht ...
... eine mutige Auseinandersetzung mit altersrelevanten Themen
Theater mit alten Menschen braucht immer wieder Mut , Themen fernab des Mainstreams
zu bedienen. Krankheit, Demenz und Tod, Krieg und Gewalt, Sexualität und Erotik,
Würde und Selbstverwirklichung im Alter sind dabei allgegenwärtig wie zeitlos. Theater mit
alten Menschen darf dabei nicht Instrumentalisierungszwängen unterliegen, nicht
Altersthemen künstlerisch ausnutzen oder sie als dekorative Note verstehen.
... die gesellschaftliche Einmischung
Theater mit alten Menschen braucht die stete Einmischung in die Gesellschaft, soll
brisante Themen nicht umschiffen, sich aber auch nicht von ihnen vereinnahmen lassen.
Es darf nicht in unbedachtem Aktionismus verfallen. Brisanter Gegenwartsstoff darf nicht
dem Diktat der unabdingbaren Schaustellung relevanter Aktualität folgen.
... kontinuierliche und nachhaltige Prozesse
Theater mit alten Menschen braucht eine langsame und regelmäßige Herangehensweise,
um neu entstandene Freiräume des Alters sinnvoll zu nutzen. Nachhaltige Theaterarbeit
und soziale Entwicklungen in der Altenkultur resultieren durch intensive und
kontinuierliche Arbeits- und Probenprozesse denn einmalige Inszenierungsprojekte z.B.
öffentlich geförderter Bühnen.
... empathische Theatermacher und ausgebildete Spielleiter
Theater mit alten Menschen braucht improvisations- und experimentierfreudige wie
qualifizierte und empathische Spielleiter. Theatergeragogische Aspekte (z.B. Umgang mit
Demenz) gilt es besonders zu beachten. Spezielle Spieleiterausbildungen , Workshops
und Möglichkeiten des Erfahrungungsaustausches sollten verstärkt angeboten werden.
...vielfältige Aufführungsmöglichkeiten
Theater mit alten Menschen braucht Schutzräume wie Möglichkeiten der Präsentation vor
einer breiten Öffentlichkeit , ob im heimischen Probesaal, auf der Theaterbühne oder im
öffentlichen Raum wie in Einkaufspassagen, auf Straßen oder Marktplätzen . Der
Wirkungskreis muss sich dabei nach den Bedürfnissen der Spieler richten.
...
unterschiedliche Ausdrucksformen
Theater mit alten Menschen braucht die Vielfalt von Ausdrucksformen. Es darf sich nicht
nur auf die Darstellung von „Sketchen“ beschränken, sondern sollte die ganze Bandbreite
an Möglichkeiten (Biografietheater, Rückgriff auf literarische Vorlagen, Tanztheater,
Performance) aufzeigen. Auch der Einsatz neuer Medien sollte Berücksichtigung finden.
... eine breite, lokale Verankerung
Theater mit alten Menschen braucht eine stärkere Implementierung in allen Regionen .
Derzeit findet sich Seniorentheater wesentlich im städtischen Bereich . Kulturelle
Teilhabe und künstlerische Ausdrucksmöglichkeiten mit alten Menschen gilt es, im
ländlichen Raum auszubauen und zu stärken.
...starke Lobbyarbeit und Sponsoring
Theater mit alten Menschen braucht engagierte Mitstreiter und Förderer auf allen
gesellschaftlichen und politischen Ebenen, vor allem braucht es finanzielle Unterstützung
für eine langfristige Etablierung von Strukturen, Ausbildungsmöglichkeiten und Projekten
im Seniorentheaterbereich.
... wirkungsvolle Netzwerkarbeit und mediale Präsenz
Seniorenfestivals , Theaterforen, Fachveranstaltungen sind wichtige Impulsgeber für die
Seniorentheaterarbeit.
Darüber hinaus ermöglichen sie den Dialog wie die Etablierung
von Netzwerken auf bundesdeutscher und europäischer Ebene. Grenzüberschreitende
Aktivitäten und Kooperationen gilt es auszubauen und zu verstetigen - begleitend durch
eine professionelle Öffentlichkeitsarbeit in allen medialen Bereichen.
... empirische Studien zur Gesundheitsvorsorge
Präventive und gesundheitsfördernde Aspekte der Seniorentheaterarbeit mussen künftig
durch empirisch wissenschaftlich-medizinische Studien nachgewiesen und abgesichert
werden, damit das Theaterspiel als Gesundheitsvorsorge durch Krankenkassen gefördert
werden kann.
...ein charmantes Augenzwinkern
Theater mit alten Menschen braucht Humor und Leichtigkeit, um eine gesunde Distanz zur
realen Tragik zu schaffen.„Erfrischend wie ein Bad ist Unsinn, und sinnlos wird, was dich
so quält!“ (Erika Pluhar)
(Entwurf der aktualisierte Arbeitsthesen des Bundesarbeitskreises Seniorentheater von Moni Fingerhut, Januar 2016)
Und ich füge hinzu:
Es braucht die Gemeinschaft der sich im ernsten, uneitlen Theaterspiel
zusammengefundenen Senioren, die – gerade angesichts der momentanen ungeheuren
gesellschaftlichen Veränderungen, Kit und Zusammenhalt in einer auseinander zu
brechen drohenden Zivilgesellschaft bietet.
Und:
„Seniorentheater wagt einen / wagt seinen Blick auf die Welt:
von Kindheit an haben die mittlerweile über sechzig bis weit über achtzigjährigen
Spielerinnen und Spieler mehrere große Utopien und Sinngebäude einstürzen sehen -
indes die alten Sinnansprüche und Erwartungen der Menschen oftmals offen bleiben und
trotz aller Verlusterfahrungen gerade dieser Generation beantwortet werden wollen.
Vielleicht kann Seniorentheater hier seinen Beitrag leisten!?“
In diesem Sinne bedanke ich mich für eure Aufmerksamkeit und dem Landesverband für
seine Unterstützung!
(J.Wietershofer 2016)