Scheinfelder Erklärung (2007)
Theaterspielen macht vor dem Alter nicht halt.
Es gibt eine Vielzahl unterschiedlicher Möglichkeiten für ältere Menschen, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen: Theaterspiel ist eine davon.
Theaterspiel mit alten Menschen ist eine künstlerische Tätigkeit
Theater mit alten Menschen kann Erinnerungen, Erfahrungen in Kunst transformieren und diese einem breiten Publikum vermitteln. Dabei muss am Ende nicht immer eine öffentliche Aufführung stehen, bei einer solchen kulturellen Tätigkeit kann auch der Weg das Ziel sein.
Die Arbeit an sich ist jedoch als künstlerische Arbeit zu verstehen, denn nur im künstlerischen Tun, in der Konzentration auf den künstlerischen Gestaltungsprozess entfalten sich die bildungsrelevanten und sozialen Dimensionen des Theaterspiels.
Theater gilt als die soziale Kunstform und als Kunst zeigt das Theater soziale und pädagogische Wirkung.
Theaterspiel mit alten Menschen ist bunt und vielfältig
So unterschiedlich wie die Menschen selbst, so unterschiedlich sind auch die Theaterformen im Spiel mit alten Menschen, hierzu zählen: Erinnerungstheater, Seniorenkabarett, Generationentheater, Mundarttheater, Erzähltheater, therapeutisches Theater mit Demenzkranken,…
Theaterspiel mit alten Menschen ist sinnstiftend
„Wollen wir vermeiden, dass das Alter zu einer spöttischen Parodie unserer früheren Existenz wird, so gibt es nur eine einzige Lösung: weiterhin Ziele zu verfolgen, die unserem Leben Sinn verleihen.“ (Simone de Beauvoir).
Das Theaterspiel bietet hierzu eine ausgezeichnete Möglichkeit. Es zeigt mit der Energie der Alten das Lebensgefühl älterer Menschen. Die künstlerische Tätigkeit fördert die innerliche Beweglichkeit und kann zu einer versöhnlichen Lebensbilanz beitragen.
Durch die Beschäftigung mit existentiellen Fragen, wie etwa nach Leben und Tod und dem begleitenden Prozess des „Sich-Erinnerns“ entstehen individuelle Bilder und Emotionen.
Theater bietet den Ort, an dem man diese Gefühle in einen erlebbaren und sichtbaren Ausdruck bringen kann. Es geht darum, dem reichen Schatz an Erfahrungen eine Form zu geben und sie zu verwandeln, statt innerlich zu erstarren.
Theaterspiel mit alten Menschen ist ein Sprachrohr
Selbstbewusst und mit großem Engagement werden über das Theaterspiel schlagfertige Antworten auf Jugendwahn, Altersangst und dadurch auch neue Bilder (Selbstbilder) vom Altern in unserer Gesellschaft gesetzt. Darüber hinaus ermöglicht gerade die Distanz des Alters ein souveränes Beleuchten des Hier und Heute.
Theaterspiel mit alten Menschen ist ein Netz gegen Einsamkeit
Es ist das Spiel im Ensemble, durch das Solidarität entsteht und das immer wieder gemeinsames Vergnügen bereitet.
Es ist zudem ein soziales Ereignis, wenn beispielsweise eine Erinnerung in ein Rollenspiel aufgeschrieben und gemeinsam umgesetzt wird und dies nur gelingt, wenn sich alle Kräfte vereinigen.
Theaterspiel mit alten Menschen ist ein Ort der Begegnungen
Theater mit alten Menschen will Erlebnis- und Assoziationsraum sein, um sich des eigenen Verstandes und Gefühls zu versichern. Es kennt phantasievolle ästhetische Überhöhungen, absurde Situationen, verrückte Menschen, vor allem aber Geschichten, die für alte und jüngere Menschen nicht dieselben Geschichten sind, Geschichten, die alte und jüngere Menschen zu ganz neuen unerhörten Geschichten herausfordern.
Verabschiedet vom Bundesarbeitskreis Seniorentheater/BDAT im September 2007 in Scheinfeld.
Berliner Erklärung (2016)
Seniorentheater braucht:
… eine mutige Auseinandersetzung mit altersrelevanten Themen
Theater mit alten Menschen braucht immer wieder Mut, Themen fernab des Mainstreams zu bedienen. Krankheit, Demenz und Tod, Krieg und Gewalt, Sexualität und Erotik, Würde und Selbstverwirklichung im Alter sind allgegenwärtig wie zeitlos.
… die gesellschaftliche Einmischung
Theater mit alten Menschen braucht die stete Einmischung in die Gesellschaft, es soll brisante Themen nicht umschiffen, sich aber auch nicht von ihnen vereinnahmen lassen. Es darf nicht in unbedachtem Aktionismus verfallen. Brisanter Gegenwartsstoff darf nicht dem Diktat der unabdingbaren Schaustellung relevanter Aktualität folgen.
… kontinuierliche und nachhaltige Prozesse
Theater mit alten Menschen braucht eine langsame und regelmäßige Herangehensweise, um neu entstandene Freiräume des Alters sinnvoll zu nutzen. Nachhaltige Theaterarbeit und soziale Entwicklungen in der Altenkultur entstehen und verfestigen sich durch intensive und kontinuierliche Arbeits- und Probenprozesse und nicht durch einmalige Inszenierungsprojekte z.B. öffentlich geförderter Bühnen.
… empathische Theatermacher und ausgebildete Spielleiter
Theater mit alten Menschen braucht improvisations- und experimentierfreudige wie qualifizierte und empathische Spielleiter. Theatergeragogische Aspekte (z.B. Umgang mit Demenz) gilt es besonders zu berücksichtigen. Spezielle Spieleiterausbildungen, Workshops und Möglichkeiten des Erfahrungsaustausches müssen verstärkt angeboten werden.
…vielfältige Aufführungsmöglichkeiten
Theater mit alten Menschen braucht Schutzräume wie Möglichkeiten der Präsentation vor einer breiten Öffentlichkeit, ob im heimischen Probesaal, auf der Theaterbühne oder im öffentlichen Raum wie in Einkaufspassagen, auf Straßen oder Marktplätzen . Der Wirkungskreis muss sich dabei nach den Bedürfnissen der Spieler richten.
…unterschiedliche Ausdrucksformen
Theater mit alten Menschen braucht die Vielfalt von Ausdrucksformen. Es darf sich nicht nur auf die Darstellung von „Sketchen“ beschränken, sondern sollte die ganze Bandbreite an Möglichkeiten (Biografietheater, Rückgriff auf literarische Vorlagen, Tanztheater, Performance) aufzeigen. Auch der Einsatz neuer Medien sollte Berücksichtigung finden.
… eine breite, lokale Verankerung
Theater mit alten Menschen braucht eine starke Implementierung in allen Regionen . Derzeit findet sich Seniorentheater wesentlich im städtischen Bereich. Kulturelle Teilhabe und künstlerische Ausdrucksmöglichkeiten mit alten Menschen gilt es, im ländlichen Raum auszubauen und zu stärken.
…starke Lobbyarbeit und Sponsoring
Theater mit alten Menschen braucht engagierte Mitstreiter und Förderer auf allen gesellschaftlichen und politischen Ebenen, vor allem braucht es finanzielle Unterstützung für eine langfristige Etablierung von Strukturen, Ausbildungsmöglichkeiten und Projekten im Seniorentheaterbereich.
… wirkungsvolle Netzwerkarbeit und mediale Präsenz
Seniorenfestivals, Theaterforen, Fachveranstaltungen sind wichtige Impulsgeber für die Seniorentheaterarbeit. Darüber hinaus ermöglichen sie den Dialog wie die Etablierung von Netzwerken auf bundesdeutscher und europäischer Ebene. Grenzüberschreitende Aktivitäten und Kooperationen gilt es auszubauen und zu verstetigen – begleitend durch eine professionelle Öffentlichkeitsarbeit in allen medialen Bereichen.
… empirische Studien zur Gesundheitsvorsorge
Präventive und gesundheitsfördernde Aspekte der Seniorentheaterarbeit müssen künftig durch empirisch wissenschaftlich-medizinische Studien nachgewiesen und abgesichert werden, damit das Theaterspiel als Gesundheitsvorsorge durch Krankenkassen gefördert werden kann.
…ein charmantes Augenzwinkern
Theater mit alten Menschen braucht Humor und Leichtigkeit, um eine gesunde Distanz zur realen Tragik zu schaffen. „Erfrischend wie ein Bad ist Unsinn, und sinnlos wird, was dich so quält!“ (Erika Pluhar)
20. Oktober 2016
Bundesarbeitskreis Seniorentheater im BDAT